Hilferuf aus dem ländlichen Raum: 10.000 Menschen im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis fordern mit Unterschrift Erhalt der wohnortnahen öffentlichen Apotheken
Offenbach - Montag, 13.11.2023

Es ist ein eindrucksvoller Hilferuf aus dem ländlichen Raum vor dem Hintergrund eines historischen Arzneimittelnotstandes und der Schließung von immer mehr öffentlichen Apotheken: 10.000 Solidaritätsunterschriften von besorgten Patientinnen und Patienten aus dem ländlich geprägten Schwalm-Eder-Kreis (Hessen) sollen den Verantwortlichen im Bundesgesundheitsministerium in Berlin verdeutlichen, dass die Uhr bei der wohnortnahen Arzneimittelversorgung der Menschen bereits auf „5 nach 12“ steht und im Schwalm-Eder-Kreis einige Kommunen mittlerweile sogar schon über gar keine eigene Apotheke mehr verfügen. 34 der insgesamt 39 Apotheken im Landkreis haben die Unterschriften gesammelt und sie jetzt, pünktlich vor dem nächsten Apothekenprotesttag in Hessen am Mittwoch, 15. November, auf die Reise nach Berlin geschickt.

Pikant: Empfänger ist der Staatssekretär im Ministerium, Dr. Edgar Franke, auch direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter des Schwalm-Eder-Kreises. „Ihm sollten die Problemstellungen im ländlichen Raum eigentlich besonders bekannt sein“, kritisiert Apotheker Nils-Steffen Grönig aus Felsberg-Gensungen, der die Unterschriftensammlung im Schwalm-Eder-Kreis gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen koordiniert hat. Mit ihrer Solidaritätsunterschrift pro öffentliche Apotheke fordern die 10.000 Unterzeichner aus dem nordhessischen Landkreis Staatssekretär Franke dazu auf, sich für eine nachhaltige Sicherstellung der Arzneimittelversorgung für die Menschen durch die Apotheken vor Ort einzusetzen.

Erstmals hatten die Schwalm-Eder-Apotheken im Juni Alarm geschlagen: Sie berichteten von einer sich gravierend verschlechternden Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung im ländlichen Raum. Kommunen, in denen überhaupt keine Apotheke mehr existiert, anhaltender Liefernotstand bei über 600 Medikamenten und schlechte Rahmenbedingungen sind dafür die Hauptgründe. Und das treibt die betroffenen Patientinnen und Patienten um, wissen Nils-Steffen Grönig und seine Mitstreiter: „Die Bevölkerung macht sich ernsthafte Sorgen darüber, wie ihre Arzneimittelversorgung in der Zukunft aussehen soll“.

Umso entsetzter waren die Apothekerinnen und Apotheker, als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor wenigen Wochen seine umstrittenen Pläne zur Zukunft der öffentlichen Apotheken präsentierte, die bislang ausschließlich auf Ablehnung stoßen. Im Begleitschreiben zu den 10.000 Solidaritätsunterschriften schreiben die Schwalm-Eder-Apotheker an Dr. Edgar Franke: „Der Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums, die Versorgung der ländlichen Bevölkerung durch so genannte ‚Light-Apotheken‘ ohne die Anwesenheit eines Apothekers, ohne die Herstellung von Arzneimitteln und ohne Notdienst sicherzustellen – anstatt die bestehenden Strukturen der vollversorgenden Apotheken nachhaltig zu stärken – zeigt, dass die Sorgen der Menschen mehr als berechtigt sind“. Betrachte man allein nur den Wegfall des Nacht- und Notdienstes, stelle sich die Frage, warum Menschen, die auf dem Land wohnen, keinen Anspruch darauf haben sollten, an Sonn- und Feiertagen sowie in der Nacht wohnortnah für ihre fiebernden Kinder ein fiebersenkendes Arzneimittel zu erwerben oder für ihre todkranken Angehörigen ein Opiat-Rezept einzulösen, damit sie in Würde schmerzfrei sterben können. Die Apothekerschaft kritisiere deshalb scharf, dass das Bundesgesundheitsministerium mit seinem Vorschlag die Menschen im ländlichen Raum offiziell zu Patienten zweiter Klasse degradiere. Genau das sei nämlich die Folge der Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Staatssekretär Dr. Franke. Eine nicht hinnehmbare Folge, die für sämtliche ländlichen Regionen in der Bundesrepublik gelte, so Nils-Steffen Grönig.

Die Apothekerinnen und Apotheker aus dem Schwalm-Eder-Kreis hoffen nun, dass Ihre Unterschriftensammlung zu einem Umdenken in Berlin mit beiträgt. Am Mittwoch, 15. November, beteiligen sie sich erneut an den flächendeckenden Apothekenschließungen in Hessen. Mit diesem Protesttag fordert die hessische Apothekerschaft im Rahmen des bundesweiten Apothekenprotests im November die Bundesregierung zum sofortigen Handeln auf, um die öffentlichen Apotheken vor Ort nachhaltig zu stärken. Die Arzneimittelversorgung am 15. November bleibt einzig über die Notdienstapotheken aufrechterhalten. Der Hessische Apothekerverband bittet Patientinnen und Patienten, dringend benötigte Rezepte an den Tagen davor oder wieder ab dem 16. November einzulösen, wenn die hessischen Apotheken wieder regulär geöffnet haben. Welche Apotheke am 15. November Notdienst hat, erfahren die Hessen per Aushängen in den örtlichen Apotheken oder online unter www.aponet.de.

Bildunterschrift: PTA Alla Anbrecht (links) und Apothekerin Eliza Krause aus Homberg (Efze) haben die Listen mit den 10.000 Solidaritätsunterschriften jetzt auf die Reise ins Bundesgesundheitsministerium geschickt.

Dieser Seiteninhalt wurde erstellt am 13.11.2023. Letzte Änderung am 20.11.2023.